Charlotte Roche Neuerscheinung „Schoßgebete“
Ich weiß ja nicht wo sie lesen, ich lese meistens im Bett oder auch der Couch. Irgendwann werde ich mir einen Lesesessel anschaffen, wenn die Kinder ihre Möbel mitgenommen haben und ich mehr Platz habe.
Ich habe also jetzt zwei Tage oder zu mindestens einen Teil davon (nein ich brauche für 282 Seiten nicht zwei Tage ) mit Charlotte oder vielmehr der Protagonistin ihres Romans Schoßgebete, Elisabeth, (Elisabeth ist ihr zweiter Vorname) im Bett verbracht.
Ich wollte mal endlich was von ihr lesen und ich wollte mich nicht ekeln müssen. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich lese keine Bücher und sehe(fast) keine Filme die mich ekeln oder die zu brutal sind. Trotzdem um es mal vorweg zu nehmen, ich habe mich nicht geekelt.
In Feuchtgebiete lässt Charlotte ihre Protagonistin den frisch operierten Blinddarm oder ihre Hämorrhoiden probieren oder mit Exkrementen schmieren, das ist in diesem Buch nicht der Fall.
Das was sie von den meisten anderen Autoren unterscheidet ist ihre ungefilterte Beschreibung über Sex und das ist manchmal auch lustig, denn Georg und Elisabeth treiben es auf Heizdecken und manchmal sitzen Alice Schwarzer und ihre Mutter mit erhobenen Zeigefinger im Bett und schauen beim Sex zu .
Es beschäftigt sie, ob der Fellatio politisch korrekt ist oder nicht, nun das hat sich doch alles längst überholt, Hauptsache beide haben ihren Spaß dabei und alles geschieht freiwillig.
So ganz freiwillig sind die Motive nicht immer, Elisabeth will George für immer lieben und glaubt das dies in einer monogamen Beziehung nicht möglich ist, dass man Zugeständnisse machen muss.
Deshalb geht sie mit ihren Mann gemeinsam in den Puff und hat nach anfänglichen Eifersuchtsattacken, auch Spaß dabei.
Sie wünscht sich selbst mit anderen Männern zu schlafen. (aus dem Freundeskreis)
So weit so gut. Das bemerkenswerte an diesem Buch ist ihr schonungsloser, mutiger und ungefilterter Schreibstil. Die Gedanken sind frei und sie verdrängt keinen und schreibt das was man eigentlich nicht schreiben darf z.B. das sie sich manchmal wünscht das der Sohn ihres Mannes tot ist und das sie sich selbst für gefährlich hält.
Seit dem tragischen Unfall ihrer Mutter in Belgien auf dem Weg zu „Elisabeth“ Hochzeit mit deren überdimensionalen Hochzeitskleid im Gepäck, bei dem drei ihrer (das ist autobiografisch) Brüder starben, ist Elisabeth in therapeutischer Behandlung.
Vielleicht ist das der Grund warum sie uns in die Abgründe ihrer Gedankenwelt entführt und das sie mit ihrer Familie und der Presse (die Blödzeitung hat sich damals nach dem Unfall, Zutritt zur schwerverletzten und unter Psychopharmaka stehenden Mutter verschafft.) abrechnen will.
Nicht jeder von uns hat ein solches Trauma erlitten, deswegen ist es schwer diese schonungslose Offenheit zu bewerten.
Oft überlege ich beim Lesen, wessen Geschichte ist das eigentlich, die Geschichte Charlottes, oder ist dies eine Mischung aus Fantasie und Wirklichkeit?
In einem Interview oder Bericht habe ich gelesen, Roche`s Mann, sei nach dem erstem Lesen dieses Romanes, erst Mal hinten rüber gekippt.
Wenn man sich so durch das Buch liest, dann hat man das Gefühl, nein die Gewissheit über allem steht die Angst, Angst vor dem Leben und die Angst davor einen geliebten Menschen verlieren zu können.
„ Und dann will sie noch mal mit mir in aller Ruhe über meine Höhenangst und Aufzugangst sprechen, Feuer- und Qualmangst sprechen. Auch habe ich Angst das, dass viel zu hohe Haus einstürzen könnte, wenn ich gerade drin bin…..“
Zitat aus Schoßgebete.
„Wenn ich keinen Sex habe, habe ich Angst „ titelt das „Zeit Magazin“ ( ich habe das Interview noch nicht gelesen,)
Das einzige was gegen diese Angst hilft ist Sex…..nur auf der Heizdecke hat sie einen ruhigen Atem. Mit ihren Eltern hat sie die Beziehung abgebrochen.
Der eigene Vater hat bei der Beerdigung ihres ältesten Bruders, seines einzigen Sohnes, vehement abgelehnt, dass seinige jetzige Frau mit auf die Schleife des Kranzes kommt, denn sie hätte Max immer gehasst. Elisabeth hasst ihren Vater dafür, dass er es in all den Jahren, ihrer Kindheit, ihnen gegenüber an Loyalität , hat mangeln lassen…… als der Bruder noch lebte.
Das ist ein grundsätzliches Debakel in Patchworkfamilien, das die Kinder aus vorangegangen Beziehungen mit den folgenden Partnern, Kindern und gemeinsamen Kindern, in eine Art Konkurrenz um Liebe treten. So auch schön anzusehen in dem Film Toast, läuft derzeit in der Filmpalette. Es handelt sich um die Verfilmung der Autobiografie von Nigel Slater, einem bekannten TV Koch aus Großbritannien, der auch kurz selbst drin vorkommt. Trailer
Immer wieder hegt Elisabeth, (oder ist es Charlotte?) suizidale Gedanken, ändert ihr Testament, beendet Freundschaften und wünscht sich Frieden für immer, das einzige was sie daran hindert diesem Wunsch zu folgen, ist ihre Liebe zu Liz ihrer Tochter und zu George.
Irgendwo habe ich gelesen oder gehört das ganze Dilemma sich ständig mit dem Unfall oder mit sich selbst zu drehen, läge an der vielen Zeit , die ihr dafür zu Verfügung steht.
Vorweg, kein Mensch macht alles richtig. Zurückweisung und das buhlen um Liebe kommt fast in jedem Kinderleben vor, Menschen sind fehlbar. Die Beziehung zu den eigenen Eltern abzubrechen, weil sie lieblos waren, kann das Leben vordergründig erleichtern, doch vergessen, werden wir sie nie.
Das Leben hinterlässt Narben, wer keine Tiere isst und umweltbewusst lebt, warum sollte der nicht auch verzeihen können? Dazu müsste man sich zunächst mal selbst verzeihen, denn wegen ihrem, aus drei Kleidern genähten Kleid, mit riesiger Schleppe, fand die Fahrt der Familie im Auto statt.
Leider weiß ich nicht von wem der Satz ist, und wie der genau lautet, nur in etwa so…der Mensch ist Zeit seines Lebens darum bemüht, das Trauma seiner eigenen Kindheit zu überwinden.
Charlotte, Elisabeth…. wünsche ich inneren Frieden, der nicht nur beim Sex zu spüren sein soll!
Das Buch fand ich sehr mutig, weil schonungslos.
Charlotte Roche liest u.a. am 12. September im Gloria und am 15.10 beim Lit. Cologne Spezial im Theater am Tanzbrunnen.
Bericht im KStA Voyeure wider Willen
Wow! Jetzt warst du ja echt schnell. Superbericht übrigens! 🙂
Danke. Ich hatte zeitweise Angst um Elisabeth, die auch suizidale Gedanken hegt.